Kapitel 1
„Wie lange dauert es noch? Musst du schon los?“ Julia drückt mir einen Kaffee im Pappbecher in die Hand, den sie gerade erstanden hat.
Ich sehe hoch zur großen schwarzen Tafel, an der die Abflüge aufgelistet werden.
Der Flug nach Cardiff ist noch nicht aufgerufen.
„Keine Sorge. Gate 31 boardet noch nicht.“, murmle ich und nehme einen Schluck von meinem Kaffee, während ich von einem Fuß auf den anderen trete. Schon habe ich mir die Zunge verbrannt. Genervt entferne ich den Plastikdeckel, damit das Getränk schneller herunterkühlen kann.
„Lotte, jetzt hör auf, so herum zu hibbeln. Du machst selbst mich ganz nervös.“
„Ich kanns nicht ändern“, blöke ich sie an. „Ich bin eben … aufgeregt.“
Diese Reise liegt wie ein schwerer Stein in meinem Magen. Ach, was sage ich? Mit einem Stein hat es angefangen. Inzwischen hat sich eine ganze Kiesgrube angesammelt.
„Ach, wenn ich doch nur mitkommen könnte! Eine pompöse Hochzeit. Wunderschöne Strände. Und dazu diese hübschen englischen Häuschen mit ihren Kaminchen“, schwärmt Julia.
„Also erstens ist der schönste Strand der Welt bei Regen und steifer Brise ungemütlich. Und zweitens sind es keine englischen Häuschen, sondern walisische.“
„Englisch … Walisisch … Ist doch alles auf der Insel.“ Sie kichert und kramt ihr Handy aus ihrer Handtasche.
„Das solltest du dort nicht so laut sagen“, entgegne ich tadelnd. „Die Waliser mögen das nicht.“
Julia beachtet meinen Einwand nicht, sondern hantiert geschäftig mit ihrem Telefon herum. „Guck. 21 Grad und Sonne. Traumhaftes Wetter.“
Sie hält mir das Display mit der Live-Wetteransage unter die Nase, damit ich mich selbst vergewissern kann. Ich muss zugeben, dass diese Temperaturen für Wales Anfang September gar nicht übel sind.
„Hach, ich wünschte, ich könnte mitkommen.“
„Och, das wäre schön. Aber vermutlich hätte da jemand etwas dagegen.“ Ich deute auf die Babyschale, in der ihre Tochter Luisa friedlich vor sich hinschlummert. Ich beneide die Kleine. In der Halle des Flughafens geht es laut und hektisch zu. Leute hetzen von links nach rechts, an uns vorbei, hinein und hinaus. Doch das Baby nimmt keine Notiz davon und hält in Seelenruhe ihr Mittagsschläfchen.
Unglaublich, wie Julia alles um sich herum jongliert. Sie schmeißt für ihren Mann Benno, der selbstständig ist, das Büro. Sie engagiert sich bei einer Hilfsorganisation für Frauen in Not. Sie ist Mutter eines süßen Kindes. Und nebenbei ist sie eine liebe Freundin, die sich um meine Wehwehchen kümmert.
Gestern Abend stand sie mir eine ganze Stunde am Telefon bei, als ich meinen Reisepass nicht finden konnte. Ordnung halten ist keine meiner Stärken. Der Personalausweis ist natürlich schon seit geraumer Zeit abgelaufen. Was mich mit dem Gedanken spielen ließ, die ungeliebte Reise ganz abzublasen.
Ich meine … Ein verschwundener Pass. Das ist doch ein Zeichen!
Julia scheuchte mich durch die Wohnung, um das Dokument zu suchen, während sie über das Handy mit Engelszungen auf mich einredete. Irgendwann fand ich das Ding, weit unten in irgendeiner Schublade zwischen alten Unterlagen. Der Trip war gerettet. Wie war ich froh … Nicht.
Dann bestand sie darauf, mich heute zum Flughafen zu fahren. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, sie zu bitten, für mich das Taxi zu spielen und hätte brav die Bahn genommen.
Ich vermute, sie möchte sich vergewissern, dass ich tatsächlich in dieses Flugzeug steige. Das tue ich einzig und alleine, weil meine Kindheitsfreundin Vicky mich unbedingt bei ihrer Hochzeit dabeihaben will. Ja, wirklich nur, weil sie mir die Einladung bei ihrem letzten Aufenthalt in Berlin extra selbst in die Hand gedrückt hat, da sie wusste, dass ich mir sonst eine Ausrede ausdenken und nicht kommen würde. Ein ‚Nein‘ duldete sie nicht und ich gab mir einen Ruck. Es ist ja nicht ihre Schuld, dass es so kam wie es kam. Sie war mir immer eine gute Freundin.
„Du brauchst Abwechslung“, reißt mich Julia aus meinen Gedanken. „Es ist fast eine Schande, dass dein Übersetzungsjob online machbar ist und du in kein Büro gehen musst. So kommst du nie vor die Tür. Du wirst noch zum Einsiedler. Versprich mir, dass du dich nicht von früh bis spät im Gästezimmer verkriechen wirst. Die Arbeit kann auch mal warten.“ Sie deutet auf die Laptoptasche, die ich gerade vorsichtig neben dem restlichen Handgepäck auf einer der Wartebänke ablege.
„Ja. Keine Sorge“, verspreche ich.
Den Laptop nehme ich nur als Vorsichtsmaßnahme mit. Nicht wegen meines Jobs, sondern für mich. Da ich in Wales niemanden mehr kenne, habe ich sicherlich viel Zeit totzuschlagen. Also kann ich genauso gut arbeiten, anstatt mich zu langweilen.
Sie stellt die Babyschale vorsichtig ab und lässt sich auf einen der Sitze fallen.
„Lotte, geh mal positiver an diese Reise heran. Es wird bestimmt nett. Hochzeiten sind doch immer schön.“ Der letzte Satz ist fast singend an mich gerichtet.
„Du musst ja nicht ständig als Single auf solche Veranstaltungen gehen“, maule ich sie an.
„Als Mutter eines sechs Monate alten Babys würde ich gerne überhaupt mal wieder auf solche Veranstaltungen gehen“, wendet sie lachend ein und hält ihre Hand theatralisch gegen ihre Stirn. Dann wird sie etwas ernster. „Irgendwann wirst du auch mal jemanden kennenlernen, der …“ Sie sucht nach den richtigen Worten. „… zu dir passt. Dauerhaft meine ich.“ Gutmütig streicht sie mir über den Rücken, der sich bei dem Thema leicht verspannt.
Denn das angesprochene Problem zieht sich schon für eine Weile durch mein Leben. Eigentlich … Immer schon. Aber jetzt werde ich ganz sicher nicht darüber nachdenken und Julia lässt mir auch gar keine Zeit dazu.
„Sieh es mal so … Hättest du überhaupt Zeit für einen Mann? Immerhin hast du einen sehr wichtigen Job bei dieser Veranstaltung.“ Sie grinst mich frech an und ich weiß, was jetzt kommt. „Du bist doch eine von acht Brautjungfern.“ Bei den Worten kichert sie und ich komme nicht umhin, es ihr nachzutun. Seit Wochen ist das unser kleiner Running Gag. Warum das so ist, weiß ich gar nicht mehr.
Julia hatte die Details über diese Hochzeit mit Staunen vernommen. Alles daran wird groß und pompös werden. Das ist für britische Verhältnisse nicht ungewöhnlich. Viele Vermählungen werden dort mit mehreren Brautjungfern auf altehrwürdigen Landsitzen gefeiert. Und die Prestons haben das nötige Kleingeld, um das Spektakel noch etwas mehr aufzublasen.
Doch Julia kann darüber nur den Kopf schütteln. Sie selbst hat ihren Mann Benno in einer kleinen standesamtlichen Zeremonie geheiratet. Danach war ein Tisch für die engste Familie und Freunde beim Italiener reserviert. Wie man so viel Geld für einen einzigen Tag ausgeben kann, ist ihr ein Rätsel.
„Und deine Freundin lässt dir dafür auch noch das Kleid nach Maß schneidern. Obendrein kommt sie für dein Gästezimmer auf.“
„Na ja. Ihr Vater bezahlt für die Hochzeit und das alles.“
„Das ist sehr nett von ihm. Bei meinem könnte ich da lange warten“, witzelt sie. „Charlotte, willst du bitte aufhören, mit dem Fuß gegen den Stuhl zu hämmern. Du weckst Luisa noch auf.“
Ups. Wenn Julia meinen gesamten Namen ausspricht, dann ist sie genervt. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass meine Schuhspitze im Sekundentakt gegen das Stuhlbein klackert. Diese Reise macht mich schon jetzt wahnsinnig.
Wenigstens ist der Kaffee inzwischen trinkbar.
„Da. Dein Flug wird aufgerufen.“ Sie deutet auf die schwarze Tafel, auf der die Abflüge angezeigt werden. Neben der Anzeige für Gate 31 leuchtet das Wörtchen ‚Boarding‘. „Lass uns gehen.“
„Du musst doch nicht den ganzen Weg zur Passkontrolle mitkommen. Mach dich lieber auf den Heimweg, solange Luisa schläft.“
Schon zuvor hat sie mich begleitet, als ich meine elend schwere Reisetasche eingecheckt habe. Nun ist mein Gepäck wenigstens auf den kleineren Rollkoffer und die Laptoptasche reduziert. Geldbörse, Pass und Handy sind in die Seitentaschen meiner Sommerjacke gequetscht, die ich nun anziehe, damit ich sie nicht herumschleppen muss.
„Nichts da. Ich komme mit, bis ich nicht mehr weiterdarf.“
Sie zwinkert mir zu und wir drücken uns durch die Menschenmassen.
Die Bewegung tut mir gut. Ich hätte wirklich nicht mehr länger stillsitzen können. Kurz vor der Sicherheitskontrolle trinke ich meinen Kaffee aus. Luisa, die inzwischen aufgewacht ist und etwas quengelig wird, gebe ich einen Schmatzer auf die Wange.
„Ich bring dir ein paar Muscheln mit, okay?“, sage ich und stupse ihr mit meinem Finger auf die Nase.
Julia und ich drücken uns innig.
„Tu mir einen Gefallen und lass es dir einfach gut gehen“, sagt sie zum wiederholten Male. „Wer kann schon eine so wunderschöne Gegend sein Zuhause nennen? Es wird sicher toll.“
„Zuhause?“ Ich ziehe die Augenbraue weit hoch. Es ist ein vergangenes Zuhause, das schon seit langer Zeit nicht mehr meine Heimat ist. „Ich bin froh, wenn ich dort noch jemanden kenne und auf dieser Hochzeit nicht alleine in der Ecke herumstehe.“
„Ach was! Immerhin kennst du das Brautpaar.“
„Vicky und James werden die beschäftigtsten Menschen auf diesem Event sein. Selbst du weißt das. Und deine Hochzeit war im Vergleich winzig.“
„Ich bin mir sicher, dass es wie ein Klassentreffen wird. Und wenn wirklich alle Stricke reißen, dann machen wir eben einen Video-Call und tanzen virtuell miteinander.“
Wir gucken uns an und brechen in Gelächter aus.
„Nun geh schon.“ Sie schubst mich voran. „Und vergiss bloß nicht, mir Bilder zu schicken“, ruft sie mir hinterher.
Bevor ich endgültig durch den Durchgang zum Security-Check verschwinde, winke ich ihr nochmals zu und sehe dann diesem Trip bange ins Auge.
In der kleinen Wartehalle hinter der Passkontrolle schaue ich mich um, muss mich erstmal orientieren. Für den Flug nach Cardiff hat sich bereits eine Schlange gebildet. Ich setze mich in Bewegung, weiche gerade noch zwei herumtollenden Kindern aus und heule auf, als mir ein Anzugträger mit seinem rollenden Businessköfferchen über die Zehen fährt. Der Typ bemerkt dies nicht einmal, spricht geschäftig in sein Telefon.
Schwer seufzend reihe ich mich in die wartende Menge ein, versuche all das Stimmengewirr der herumhetzenden Menschen und die Durchsagen, die durch die Halle schallen, auszublenden.
Mit einer Hand ziehe ich mein Handy aus der Jackentasche, damit ich die Airline-App für das elektronische Ticket aufrufen kann. Dabei fällt mir eine ungelesene Message auf. Eine Nachricht von Vicky.
Ich freu mich schon so auf dich!
Um welche Zeit wirst du in Saundersfoot sein?
Vergiss nicht, dass wir morgen gleich zur Hen-Party aufbrechen werden.
Volles Programm. Yippie!
Ich bin so aufgeregt!
Küsschen, Vicky.
Das ist meine alte Freundin in ihrer ganzen Erscheinung. Stets ein blubbernder Sonnenschein.
So waren wir damals beide. Die Leute sagten immer, dass man nur noch wildes Geschnatter hören könne, wenn man uns in einen Raum zusammensteckt. Nach meinem Wegzug ist es Vicky gewesen, die unseren Kontakt am Leben hielt.
Sie arbeitet seit Jahren in London, wo sie ihren zukünftigen Ehemann James kennengelernt hat. Dort leben sie zusammen und ich habe die beiden einige Male besucht. Wenn es nur um sie ginge, wäre dieser Besuch überhaupt kein Problem für mich.
Doch für den Ort ihrer Hochzeit hat Vicky ihren Heimatort Saundersfoot erwählt, wo auch ich aufgewachsen bin. Eine kleine Stadt an der Küste, in den Tiefen von Wales. Malerisch und im Sommer ein Touristenmagnet. Bestimmt hat hier George Preston seine Finger im Spiel. Wenn er schon für ein solches Event bezahlt, dann soll es wohl vor der Haustür stattfinden.
Und weil die Hochzeit noch nicht pompös genug ist, lädt Vicky am Wochenende zuvor zu ihrem Junggesellinnenabschied, der sogenannten Hen-Party ein. Natürlich wird auch das kein gewöhnlicher Abend in einem Pub sein. Sie hat dafür Zimmer in einem Wellnesshotel gemietet und eine ganze Horde Mädels dazu eingeladen. Daher muss ich nun zehn Tage in Wales verharren, anstatt nur zwei.
Während ich in der Schlange nach vorne rücke, tippe ich die Antwort.
Liebe Vicky, ich freu mich auch auf dich.
Ich werde von Cardiff aus den Bus nehmen.
Voraussichtliche Ankunftszeit in Saundersfoot ist 21:20 Uhr.
Wir sehen uns dann morgen.
Liebe Grüße, Charlotte.
Der Bus war nicht der Plan gewesen. Eigentlich wollte ich mir in Cardiff einen Wagen mieten, um damit die zweistündige Fahrt nach Saundersfoot hinter mich zu bringen.
Doch Überraschung! Ich musste feststellen, dass ich meinen Führerschein verschlampt habe. Egal, wie sehr ich danach suchte, er blieb unauffindbar. Ohne dieses Dokument lässt sich bei keiner Autovermietung ein Wagen buchen. Nun muss es eben der Bus sein.
Ich will mein Handy wegstecken, doch schon Sekunden später kommt erneut eine Nachricht herein.
Den Bus? Ist das ein Scherz?
Seufzend tippe ich die Geschichte über den verschwundenen Führerschein ein. Dieser Nachricht folgt eine Weitere, in der Vicky nach meinen genauen Flugdaten fragt. Auch diese Informationen lasse ich ihr zukommen und wechsle zur Airline-App, um mein Ticket fürs Boarding zu scannen.
Unmittelbar danach kommt wieder eine Message herein, die ich vorerst ignoriere, um mich auf den Weg ins Flugzeug zu machen. Im Getümmel drängle ich mich im engen Gang zur Sitzreihe vierzehn.
Mühsam hieve ich den schweren Rollkoffer in das Gepäckfach über meinem Platz und schiebe die Laptoptasche unter den Vordersitz.
Puh! Schwitzend lasse ich mich auf den Sitz fallen und verschnaufe erst mal. Nachdem ich auch meine Jacke zum Laptop gestopft habe, nehme ich das Handy wieder zur Hand.
Nicholas wird dich abholen.
Melde dich nach deiner Ankunft bei ihm.
Guten Flug und liebe Grüße, Vicky
Perplex schaue ich auf das Display meines Handys. Wer ist Nicholas? Ich tippe auf die Kontaktdaten, die sie angehängt hat, und speichere die Nummer ab.
Also gut. Vicky ist offensichtlich eine Meisterin der Organisation. Mit dem Bus hätte diese Reise ein paar Stunden länger gedauert. Das viele Gepäck hätte ich von A nach B schleppen müssen. Nun bekomme ich einen Abholservice.
Neben mir nimmt ein Pärchen Platz, das auch eine Weile braucht, um all seine Gepäckstücke zu verstauen. Brav stopft der Mann alles ins Gepäckfach, setzt sich und gurtet sich an, nur um zwei Minuten später von seiner Freundin wieder aufgescheucht zu werden, damit er ihre Strickjacke aus der Tasche heraussucht.
Sie holt ein Tablet aus ihrer Handtasche und rückt es in Position. Ein Ohrstöpsel wandert in ihr Ohr, der andere in seins. Händchenhaltend gucken sie sich einen Film an.
Hibbelig sehe ich mich um. Wir sind noch nicht mal losgeflogen und schon macht mich das Herumsitzen wahnsinnig. Was nun?
Kurzerhand ziehe ich den Laptop hervor, baue ihn auf dem kleinen Klapptischchen auf. Vielleicht kann ich etwas Arbeit erledigen.
Auf Seite fünf des Dokumentes stelle ich zwei Dinge fest:
Erstens setzt sich das Flugzeug erst jetzt in Bewegung. Freundlich werde ich gebeten, den Laptop für den Start wegzuräumen und mein Tischchen hochzuklappen. Ich kann annehmen, dass wir wohl mit Verspätung landen werden.
Und zweitens bin ich mit der Übersetzungsarbeit kaum vorangekommen. Hier mal ein Satz, dort mal ein Wort. Ich kann mich nicht konzentrieren.
Das Pärchen neben mir lacht immer wieder auf. Vermutlich lustige Stellen in ihrem Film. Der Klunker, den sie an ihrem Ringfinger trägt, lässt keine Zweifel daran, dass hier in näherer Zukunft eine Hochzeit ins Haus steht.
Und das lässt meine Gedanken unangenehm abschweifen.
Warum bin ich noch nie auch nur in die Nähe einer solchen Situation gekommen? Weshalb scheint sich bei mir derselbe Vorgang ständig zu wiederholen? Ich lerne einen Mann kennen, gehe eine Beziehung mit ihm ein und dann … funktioniert es aus irgendwelchen Gründen nicht.
Seit Jahren läuft das so. Eigentlich immer schon. Ich bin ganz sicher keine Frau, die unter Torschlusspanik leidet, brauche keinen Ring am Finger, aber ich sehne mich nach etwas Echtem. So echt, wie bei Julia und ihrem Mann Benno. Oder bei Vicky und James. Sie alle sind wundervolle Beispiele dafür, dass es so etwas gibt. Und sie sind nicht die Einzigen.
Vickys Hochzeit ist die zweite in diesem Jahr, zu der ich eingeladen bin. Eine meiner Kolleginnen hat sich gerade verlobt.
Und ich? Ich schaffe es nicht, eine Beziehung zu führen, die länger andauert als ein paar Monate. Nie ist es ganz rund. Immer fehlt irgendetwas.
Julia, die es liebt, mein Liebesleben zu analysieren, sagt immer, es sei die fehlende Leidenschaft. Ich ließe mich nicht ein, lasse niemanden wirklich an mich herankommen. Zu wenig Wille, mich ganz zu öffnen, daher zu wenig Romantik, Gefühle, Vertrauen. Ergo: keine Leidenschaft. Sie hat mir sogar schon vorgeworfen, die Männer extra nach diesem Schema auszusuchen. Damit ich mich bloß nicht zu tief darauf einlassen muss.
Einige Male sind wir darüber in einen Streit geraten. Ich bin wer ich bin und ich kann und will das nicht ändern. Auf keinen Fall möchte ich eines Morgens aufwachen und vor dem Nichts stehen, wie meine Mutter.
Das laute Tosen der Maschinen holt mich aus den trüben Gedanken. Nur einen Moment später nimmt das Flugzeug auf der Startbahn Anlauf und ich werde durch die schnelle Steigerung der Geschwindigkeit in den Sitz gedrückt. Es ruckelt und rüttelt bis … wir uns in der Luft befinden.
Ich atme tief ein und ganz langsam wieder aus. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Kapitel 2
Das Zeichen zum Anschnallen leuchtet auf. Ich ziehe den Gurt fest, lehne mich in meinem Sitz zurück und gucke aus dem Fenster. Normalerweise mache ich mir nichts aus der Aussicht aus einem Flugzeug, doch nun genieße ich den Blick auf die Küste, neben der die Landebahn des Flughafens von Cardiff liegt.
Die Sonne scheint und lässt das Meer dort unten funkeln. Das ringt mir ein Lächeln ab. Vielleicht hatte Julia recht. Vielleicht wird es eine schöne Zeit und Abwechslung. Zum ersten Mal, seit ich in dieses Flugzeug gestiegen bin, entspanne ich mich.
Der Flug ist gut verlaufen. Trotzdem haben wir wegen unseres verspäteten Starts eine leicht veränderte Route nehmen müssen und landen nun über eine Stunde später als geplant. Das hat uns der Captain in einer Durchsage mitgeteilt.
Das Flugzeug rollt langsam zu seiner endgültigen Parkposition. Als wir zum Stillstand kommen ist das Klicken von unzähligen Sicherheitsgurten zu hören. Sofort erheben sich die meisten Passagiere, um ihr Handgepäck aus den Gepäckfächern zu holen.
Ich schalte den Flugmodus meines Handys aus und suche nach den Kontaktdaten von dem Typen, der mich abholen soll. Wie heißt er nochmal? Das Gerät verrät es mir.
Nicholas.
Hallo Nicholas,
ich bin gelandet. Sorry für die Verspätung.
Ich hoffe, dich gleich zu sehen.
Gruß, Charlotte
Eigentlich habe ich kaum Hoffnung, dass er noch da ist und suche in den Tiefen meines E-Mail-Postfachs bereits nach dem Busticket, das ich schon vor zwei Tagen gebucht hatte. Doch dann kommt eine Nachricht herein.
Kein Problem.
Ich treffe dich im Ankunftsbereich.
Ich bin überrascht und erleichtert. Er ist da und wartet auf mich.
Und es folgt noch ein Bonus: Der Typ im Sitz neben mir hievt nicht nur sein Gepäck, sondern auch meins herunter. Wie nett!
Cardiffs Flughafen ist klein und übersichtlich. Der Weg von der Passkontrolle zur Gepäckausgabe ist nicht lang und somit halte ich innerhalb von zwanzig Minuten meine Reisetasche in der Hand.
Mit einem Klick ist der Griff herausgezogen und schon rollen meine beiden schweren Köfferchen hinter mir her.
Meine Aufmerksamkeit lenkt sich auf ein Schild mit dem Wort ‚Allanfa‘. Gleich darunter steht ‚Exit‘. Jede Auskunft wird sowohl in englischer als auch in walisischer Sprache ausgewiesen. Darauf wird in Wales nach wie vor sehr viel Wert gelegt.
Das weckt Erinnerungen. Als ich klein war, hat mein Vater versucht, mir die Sprache beizubringen. Er ist einer der wenigen, die sie noch beherrschen. Mum fand das nervig, weil sie nie einen Draht dazu entwickeln konnte, doch Dad bestand darauf. Einst war ich fähig, es einigermaßen zu sprechen und zu verstehen. Wackelig, aber es ging. Nun ist es weg. Ich hätte keine Ahnung, wie ich mich auf walisisch unterhalten soll.
Bald stehe ich im Ankunftsbereich. Was nun?
Es geht nicht allzu geschäftig zu, doch vielleicht sollte ich diesem Nicholas eine Nachricht über meinen genauen Standort schreiben, damit er mich erkennen kann.
Schnell zücke ich mein Handy, als mir ein großer Kerl auffällt, der geradewegs auf mich zukommt. Ob er das wohl ist?
„Nicholas?“, frage ich vorsichtig, als er mich erreicht hat.
„Ja. Hi.“ Er lächelt mich freundlich an. Meine Güte, wie groß ist dieser Hüne? Zwei Meter? Neben ihm wirke ich mit 163 Zentimetern wie ein Zwerg. Er trägt einen schlecht getrimmten Dreitagebart, der das meiste seines Gesichts bedeckt. Auch die dunkelblonden Haare sind etwas zu lang geraten.
Aber er ist hier und somit muss ich nicht mit dem Bus fahren. Das klappt ja alles wie am Schnürchen.
„Hi“, sage ich freundlich „Nett, dich kennenzulernen. Ich bin Charlotte.“ Ich halte ihm meine Hand hin.
Nicholas zögert, wirft mir einen fragenden Blick zu, als würde er abwägen, ob er sie ergreifen will. Schließlich streckt er mir seine Hand entgegen und fängt an zu grinsen. Keine Ahnung, was das bedeuten soll.
Komischer Kauz.
Klar, andere Länder, andere Sitten. Es ist eine Weile her, dass ich zum letzten Mal in Großbritannien war, aber ich bin mir doch sehr sicher, dass man sich hier auch heute noch die Hand zur Begrüßung reicht.
Sein Händedruck fühlt sich angenehm an. Nicht zu fest und nicht zu leicht. Und Mann … Sind das große Hände. Ich fühle raue Stellen daran, die mir erzählen, dass er sie nicht nur am Schreibtisch benutzt.
„Mein Wagen steht nicht weit entfernt. Wollen wir?“
„Gerne.“
Nicholas nimmt mir meine beiden Koffer mit einer Leichtigkeit ab, als wären sie leer. Dann hängt er sich sogar noch die Laptoptasche um und marschiert los. Ich trotte ihm nach und mustere seinen Körperumfang. Was für ein breites Kreuz. Der Typ könnte sicherlich Baumstämme bewegen. Eigenhändig.
Die Schiebetüren öffnen sich und schon stehen wir vor dem Gebäude. Frische Luft im Gesicht und die Nachmittagssonne scheint auf mich herab, wie von Julia prophezeit. Herrlich. Eifrig krame ich meine Sonnenbrille aus der Tasche. Wie schön, dass sie zum Einsatz kommt.
Wir müssen tatsächlich nicht weit laufen und haben Nicholas Jeep schnell erreicht. Er öffnet den Kofferraum und versucht mein Gepäck dort zu verstauen. Keine leichte Aufgabe, denn das Innere des Wagens ist bereits schwer beladen. Mit einigem Kraftaufwand schiebt er die langen Holzbalken zur Seite, die nur Platz finden, weil er die Rückbank umgelegt hat.
Kurz überlege ich, ob ich helfen kann, doch schon gleich hat er das Material gesichert und stopft meine Koffer daneben.
Ich mache mich auf den Weg zur Beifahrertür. Bevor ich sie öffne, bemerke ich das Lenkrad.
„Willst du fahren?“ Nicholas grinst mich von der anderen Seite des Wagens an und hält mir die Autoschlüssel entgegen.
„Ähm …“ Perplex gucke ich auf, falle in sein Grinsen ein. „Nein. Ich bin im Reflex zu dieser Seite gegangen. Aber es ist wohl besser, wenn du fährst.“
Schnell gehe ich um das Auto herum. Nicholas öffnet mir die Beifahrertür, die hier im vereinten Königreich natürlich auf der linken Seite liegt. Dann setzt er sich hinter das Lenkrad und zieht die Sonnenbrille auf. Die Sonne steht schon tief und strahlt direkt in unsere Gesichter. Bevor er startet, guckt er verschmitzt zu mir.
„Alles klar? Gurt gefunden? Angeschnallt?“
Scherzkeks.
„Ja.“ Zum Beweis ziehe ich daran. „Es kann losgehen.“
Nicholas konzentriert sich auf den Verkehr und manövriert den Jeep vom Flughafengelände.
Vor uns liegt eine zweistündige Fahrt. Aus dem Autoradio dudeln die aktuellen Hits.
Ob ich wohl mit ein wenig Small-Talk beginnen sollte? Sonst wird das eine lange Reise. Andererseits will ich ihn nicht von der Straße ablenken. Vorerst verkneife ich mir eine Unterhaltung, sehe schweigend aus dem Fenster, damit Nicholas den Wagen in Ruhe auf die Schnellstraße lenken kann.
„Also, liebe Charlotte“, sagt er irgendwann, wobei er das Wort ‚Charlotte‘ sehr förmlich betont. „Wie war dein Flug?“ Er stellt das Radio etwas leiser.
„Danke, gut. Wenn das Drumherum nicht so mühsam wäre, würde so ein Flug gar nicht so lange dauern.“
„Das stimmt. Und du bist aus Berlin gekommen?“
„Ja. Die Flugdauer betrug nur eine Stunde.“ Ich stutze „Woher weißt du, dass ich aus Berlin bin?“
„Vicky hat mir deine Flugdaten geschickt, als sie fragte, ob ich dich abholen kann.“
Wieder grinst er. Ich stelle mich aber auch irgendwie dumm an. Beinahe schlage ich mir mit meiner Hand gegen die Stirn.
„Oh. Natürlich … Danke übrigens, dass du mich mitnimmst. Ich hoffe, du bist dafür nicht extra den ganzen Weg nach Cardiff gefahren.“
„Nein. Ich habe zwei bis dreimal die Woche in der Stadt zu tun. Dich auf dem Rückweg einzusammeln, macht keine Umstände.“
„Was machst du beruflich?“
„Ich bin Architekt. Die Firma, für die ich arbeite, sitzt zwar in Cardiff, aber meine Projekte sind weit verstreut. Daher bin ich oft mit dem Auto unterwegs. Und vorhin habe ich etwas Material für den privaten Gebrauch abgeholt. Deshalb ist es im Wagen ein wenig eng. Sorry.“
Er nickt mit dem Kopf nach hinten, wo wegen des Holzes und meinem Gepäck kein weiteres Staubkörnchen mehr Platz hätte.
„Kein Problem. Du konntest ja nicht ahnen, dass du heute Taxi für mich spielen musst. Außerdem riecht dein Auto so schön nach Holz.“ Ich schnuppere hörbar. „Das ist angenehmer als so manches Duftbäumchen.“
Nicholas lacht schallend auf. „Mit deiner Vorliebe für den Geruch von Holz eroberst du das Herz eines Architekten im Handumdrehen.“
Ich kichere etwas schüchtern. Flirtet er etwa mit mir? Wie von selbst streicht meine Hand eine verirrte Haarsträhne hinter mein Ohr. Langsam und sinnlich.
Äh … Moment mal! Ich kenne den Typen doch gar nicht.
„Und welcher Arbeit gehst du nach?“ Er lenkt die Unterhaltung wieder auf sachliche Themen.
„Ich bin Übersetzerin.“
„Übersetzerin?“, fragt er überrascht. „Und was übersetzt du?“
„Kunst- und Geschichtsbände. Ich arbeite für einen Verlag, der darauf spezialisiert ist.“
„Wie kommt man denn auf sowas?“
„Mit etwas Zufall, glaube ich.“ Ich muss lachen, weil es wohl so ist. „Ich habe schon während der Studienzeit nebenher Geld damit verdient. Fremdsprachen fallen mir leicht und wegen meines Kunstgeschichtsstudiums bin ich irgendwie in diese Nische gerutscht.“
„Wie viele Sprachen sprichst du denn?“
„Sechs.“
Nicholas pfeift anerkennend durch die Zähne. „Und welche?“
„Deutsch und Englisch sind meine Muttersprachen. Und zusätzlich Französisch, Spanisch, Italienisch und ein bisschen Portugiesisch.“
„Wow! Das ist toll. Ac rydych chi’n sicr yn siarad Cymraeg hefyd.“
„Hä?“ Mir ist klar, dass er Walisisch gesprochen hat, doch der Sinn erschließt sich mir nicht. Ich kann es einfach nicht mehr.
„Was? Sechs Sprachen, aber kein Walisisch?“, hakt er nach.
„Ähm … Nein.“
Seine Augenbraue zuckt in die Höhe, trotzdem erkläre ich nicht mehr dazu.
Wir passieren einen Kreisverkehr, der Erinnerungen weckt. Die Mitte wird von saisonalen Blumen geschmückt. Gerade blühen frühherbstliche Pflanzen in allen Farben. Wirklich hübsch.
Als ich hier vor dreizehn Jahren mit meiner Mutter vorbeikam, war der Fleck in das Gelb von unzähligen Narzissen getaucht. Damals lenkte sie das Auto ins Ungewisse. Ich war so verwirrt, wütend und voller Angst. Ich wollte nicht weg. Saundersfoot war mein Zuhause. All meine Freunde, meine ganze Welt befand sich dort.
Warum sich ausgerechnet das Bild dieses Kreisverkehrs in mein Gedächtnis gebrannt hat, weiß ich nicht. Vielleicht, weil auf dem Wegweiser steht, dass Cardiff nur zehn Meilen entfernt ist und ich damals nicht dorthin wollte.
Nicholas lenkt den Wagen in die entgegengesetzte Richtung und biegt auf die M4 ab, die uns nach Pembrokeshire führen wird.
„Ich glaube, wir haben es gerade noch geschafft, die Rushhour zu vermeiden“, meint er mehr zu sich selbst als zu mir.
Das Autoradio zeigt die Zeit an. Nach sechzehn Uhr.
„Sorry. Das hat alles so viel länger gedauert, als ich dachte.“
„Ist doch nicht deine Schuld.“ Er lächelt und will unser Geplauder weiterführen. „Freust du dich schon auf die Zeit in Wales?“
Einen Moment lang überlege ich, was ich ihm antworten soll. Wie sollte ich einem Fremden erklären, dass ich grundsätzlich lieber zum Zahnarzt gehen würde, als hierher zu kommen? Andererseits verläuft meine Reise bisher ganz gut. Die Sonne scheint. Vicky hat mir diese Mitfahrgelegenheit besorgt und ich muss nicht mit dem Bus durch die Gegend tuckern.
„Hm … ich bin mir nicht ganz sicher, denn es ist ewig her, dass ich zum letzten Mal in Wales war“, antworte ich ehrlich. „Und seither hatte ich keinen Kontakt zu den Leuten dort … Na ja, nur zu Vicky, die mich ja nun auf ihre Hochzeit eingeladen hat. Sie war meine beste Freundin, als ich klein war. Ich habe meine Kindheit hier verbracht, weißt du?“
Unvermittelt grinst er in meine Richtung, als hätte ich einen Witz erzählt. Ich runzele die Stirn.
Der Typ ist irgendwie schräg drauf.
„Und du? Wohnst du in Saundersfoot oder fährst du zu einem deiner Projekte?“
„Ich wohne dort.“
Wieder dieses spitzbübische Schmunzeln. Ich kann nicht festmachen, woran es liegt, aber irgendetwas an der Unterhaltung ist seltsam. Er gibt mir seine Antworten auf eine komische Art und wirkt bei den meinen, als hätte ich etwas Lustiges gesagt. Vielleicht ist das einfach sein Charakter.
Ich versuche, mich davon nicht beirren zu lassen. Nebenbei werde ich neugieriger auf meine alte Heimat.
„Ist es immer noch so wie früher?“, will ich wissen.
„Kommt darauf an, was du mit früher meinst?“
„Ist Bettys Blumengeschäft noch an der Ecke bei der Hauptstraße und der Fish’n Chips Stand hinter dem Hafen?“
„Betty ist vor ein paar Jahren in Rente gegangen. Sie hat den Blumenladen verkauft. Und die kleine Frittenbude mit dem Fisch lief so gut, dass sie inzwischen ausgebaut wurde. Da hängt jetzt ein ganzes Restaurant dran.“
„Oh, wow! Das hört sich toll an! Und sogar das Red Dragon existiert noch. Mein Zimmer ist dort reserviert. Es wird doch noch von Gray geführt, oder?“
„Ja. Gray hat sich nicht verändert. Der wird auch in 30 Jahren noch in seinem Pub stehen.“
Graham, der von uns allen nur Gray genannt wurde, ist eine gute Seele. Zusammen mit seiner Frau Bronwen führt er das Red Dragon, seit ich denken kann. Dort habe ich mein erstes Bier getrunken und als Jugendliche mit den Jungs Billard gespielt. Oder besser gesagt, die Jungs angehimmelt, während sie spielten.
Ich muss lächeln. Das sind schöne Erinnerungen. „Ich freue mich auf Gray und Bronwen.“
„Die zwei freuen sich auch auf dich“, erwidert Nicholas. „Und Vicky erst. Die war schon vorhin, als sie mich gefragt hat, ob ich dich abholen kann, so hysterisch.“ Er lacht und ich stimme mit ein. Das hört sich nach Vicky an.
„Bist du auch auf der Hochzeit eingeladen?“
„Yup.“ Wieder dieses Grinsen und nach einem Moment schiebt er hinterher: „Vicky ist meine Cousine.“
„Ah“, gebe ich von mir und nicke.
Sollte er mir nicht bekannt sein, wenn er Vickys Cousin ist? Ich mustere ihn von der Seite und gehe im Kopf den Stammbaum durch, soweit ich ihn in Erinnerung habe.
Die Prestons sind mit vielen Leuten aus Saundersfoot verwandt. Genaugenommen sogar mit mir … Über sieben Ecken. Mein Vater und George teilen sich denselben Ur-Urgroßvater oder so. Vicky hat einige Cousinen und Cousins. Da gibt es Archie und Katie … und Mike … Die sind etwas älter als ich.
Und es gibt Alice und …
Noch einmal mustere ich Nicholas. Er schaut kurz zu mir und lacht, als er sieht, wie emsig die Zahnräder in meinem Gehirn arbeiten.
„Soll ich dir auf die Sprünge helfen, Charlie?“
Charlie? Ich gucke ihn erstaunt an. So hat mich keiner mehr genannt, seit ich von hier weggezogen bin. Nicholas nimmt die Sonnenbrille ab, sieht mich einen Augenblick länger an, bevor er sich wieder auf die Straße konzentriert. Und als ich es schaffe, durch den Bart und all die Haare hindurchzusehen, ergreift mich die Erkenntnis.
„Nick?“